Am nächsten Morgen war Kaltstart geplant. Aber Planungen kann man ändern – zumal die Temperatur nicht passt. Minus 22° ist ein zu krummes Maß. Dann eben Schriebe anschauen und planen, was nochmals gefahren werden muss. Die Messschriebe sind Fotopapier und werden mit Lichteinfall dunkel, entwickeln sich. Da die Signale mit viel härteren Lichtstrahlen im Schreiber „eingebrannt“ wurden, ist das bisschen Licht im Zimmer grade recht, alles sichtbar zu machen. Aber weiterer Lichteinfluss lässt die Schriebe nachdunkeln, bis zur Unkenntlichkeit – auch die Linien weg und somit ist der ganze Schrieb weg – weg heißt Eimer. Wir sitzen – rauchend über Schrieben – und verfolgen die Linien, bringen logische Signale mit Rad- und Druckverläufen in Abhängigkeit zueinander und erkennen, dass aus der Radgeschwindigkeit was anderes abgeleitet werden muss, als hier dargestellt ist. Findende Blicke in die Pläne der logischen Verknüpfungen sind erfolgreich und man überlegt andere Verknüpfungen, baut sie ein und – täglich grüßt die Messfahrt – geht es ins Auto. Immer gleiche Routine: Elektronik auf der Rückbank verstaut, angeschnallt, Stecker rein, Messtechnik anwerfen, zunächst erst mal zum Kalibrieren ans Netz. Neben einer Garagentüre gibt es Außensteckdosen und das Kabel im Kofferraum ist so lang, dass es, wenn man daneben steht, vom Fuzzy bis in die Dose reicht. Du sitzt hinter dem Messaufbau und drehst an Verstärkerschräubchen. Aussteigen, im Labor nachfragen: „Volker, trittst du mir mal?“ Heißt: „Volker, kommst du mal raus, um mir auf das Bremspedal zu treten und 100bar zu drücken, damit ich den Ausschlag des Lichtstrahls im Schreiber mit der Anzeige des Manometers abgleiche.“
Dazu braucht man auch einen kleinen Schraubenzieher, womit die Lichtstrahleinheiten justiert werden müssen. Kein Schraubenzieher, kein Kalibrieren. Jeder hat seinen eigenen in irgendeiner Tasche vergraben. Beim Suchen piekst er sich natürlich durchs Flanell und bleibt an der sowieso geschundenen Hand hängen, nicht ohne zuvor eine dünne Linie der Undichtigkeit zu hinterlassen. Nach zehn Minuten ein letzter Check, danke Volker.
Nun das Ganze nochmals mit den Geschwindigkeiten. Hierzu gibt es einen Knopf an der Seite des Messaufbaus, der den Lichtstrahl um 100km/h ausschlagen lässt. 100km/h sind zehn Zentimeter. Verstärker drehen, Nullabgleich, Verstärkung, Nullabgleich passt. Verzögerung wird mit einem Accelerometer gemessen. Er misst in Längsrichtung des Fahrzeugs und wenn man ihn senkrecht stellt, zeigt er 1g (10m/s²) Erdbeschleunigung. Da er am Messaufbau festgeschraubt ist, braucht man – neiin, geht mit dem Kleinen nicht – einen anderen. Inbus 6mm, auch in der Tasche, wo der kleine war. Losschrauben, senkrecht stellen, waagrecht, Verstärkung nachstellen, Nullabgleich – engineering eben. Nachdem er wieder eingebaut ist, Kalibrierung fertig, Probeschrieb, vom Fahrersitz aus, damit man nochmals die 100 bar drücken kann –jaaah hab ich doch glatt vergessen, der Fahrzeugmotor lief schon die ganze Zeit und es sind mittlerweile 30 Grad im Blech. Also weiter: Kontrollschrieb. Dann kann man ja gleich die Geschwindigkeiten checken. Gang rein losfahren iiiuuuuup. Der Messaufbau ist tot – logisch, die Steckdose!! Sch .. Peilton. Wieder rückwärts an die Garage und aussteigen, den Stecker wieder einstecken oder gleich den Fuzzy anwerfen. Oh je, die Steckdose sieht schlimm aus, die Kabelschellen hat es bis zum Dach aus der Wand gepult und die liegen im Schnee. Ein paar Nägel auch. Das Kabel steht im 14-Grad-Winkel von der Wand ab und schaut fassungslos, leicht schwingend des Steckers entrissen daher. „Feeelix – haben wir Kabelschellen dabei?“ Aus der Garage tönt es “Ihr lernt das nie, aber studiert und bei Dunkelheit saufen. – Ja, irgendwo, lassmal, ich reparier das, bevor wir heimfahren“.
Beruhigt geht’s zurück ins Labor: „Ich fahr aufn Teich, bin zum Essen wieder da. – Bringst Du mir Kippen mit? Aber nicht die giftigen, die blauen. – OK. “
Vorsichtig geht die Fahrt Richtung berghinunter, eine kleine Bremsung und Erleichterung macht dir Zufriedenheit. Rr rrr rrr …es regelt. Also weiter. Du schleichst ins Dorf, am Coop und Blumenladen vorbei, fährst rechts am Hangar entlang die Rampe aufs Eis hinunter und vor zur Testfläche.
Startposition, rechts steht der Kollege und schaut verträumt auf seinen Messschrieb. Du nimmst Anlauf und legst los. Brrrrr rr r. Fuzzy steht, Messaufbau aus. So ein Sackmist. Schnell zum Kofferraum und den Fuzzy nachtanken bevor der Messknecht wieder kalt wird. Der Ersatzkanister fühlt sich nicht nur leer an, sondern ist innen staubtrocken. Sch – Peilton. Kollege? Weg. Doppelpeilton. Rückfahrt zur Tanke. „Lennard, ja behöver ha sprit for Fuzzy?“ – „Just a moment.“ „Tack!“ Er nimmt mir den Kanister aus der Hand und verschwindet nach hinten. Ein Telefon klingelt. Man hört telefonieren. Na irgendwie belustigt. Minuten später kommt er wieder mit dem Kanister vorbei, greift ins Regal neben der Tür, nimmt eine Dose Öl – das für Motoren, ist blau und, na Pripps is auch blau, und verschwindet wieder. Man hört pumpen und gurgeln. Das nun vertraue Geräusch signalisiert, er hat das Gebräu fertig und füllt den Kanister. Halbe Stunde später. Der Messaufbau ist wieder kalt, reißt den Fuzzy an – Seilzugstarter! und auf der Fahrt zum See gibst du ihm die Chance, warm zu werden. Wieder Kalibrierungscheck, nochmal die Drücke nachgestellt. Du drückst mit dem linken Fuß auf die Bremse, hast das rechte Bein angezogen und neben dem Lenker eingeklemmt, schaust auf den Manometer der an der Radioantenne befestigt ist und hängst mit dem Oberkörper hinter dem Messaufbau, als wenn du bei eingebautem Sitz von hinten unter der Nackenstütze des Beifahrersitzes durchschaust. Bandscheiben ahoi! Alle noch da? Ja klick klick klick, eine nach der anderen. Klar hast Du den Schraubenzieher im Fußraum gefunden, wo du ihn vorhin schnell beiseite gelegt hast und drohst dem Schreiber mit Nullabgleich. Das Bremspedal schiebt dich langsam aber stetig Richtung Rückbank – zwischen Messaufbau und deiner Sitzlehne durch. Druck lässt nach, Fuß zu kurz. Mist. Anders verkeilen, oder mit einem Arm abstützen. Zirkus ist Honigschlecken.
Der Messaufbau ist wieder im Lot, Anlauf – wo ist ein Kollege? – daheim, also freie Fahrt, mußt auf niemand aufpassen – du drückst auf den Auslöser, den Schreiber zu starten und schchsch T ftftftft. Papier alle. Kein Problem, unterm Sitz hat es … hat es …hatte es zwei leere Schachteln. Du fährst mittelschwer genervt zum Hotel hoch, gute 5 Minuten. Papier ist auf dem Schrank am Eingang gestapelt, „- hast Du an die Kippen gedacht?“ Suchtbolzen – Du schaust nebenbei auf die Uhr: 11:36. Teich lohnt sich jetzt nicht mehr, Essen beruhigt die Nerven. Wer geht mit Essen? „Mir ist, glaube ich, noch etwas schlecht von gestern.“ – deshalb die Kippen mitbringen, ist noch nicht transportfähig. Weicheier, ich hab Kohldampf.
Nach dem Essen ist vor dem Essen. Das nahezu gleiche Spiel, zur Abwechslung wird auch mal eine Hydraulik getauscht. Das heißt dann Felix überreden, die angefangene Arbeit zu unterbrechen, Fahrzeugtausch, und wieder eine eiskalte Garage.
Nachdem die Temperaturen wieder etwas arbeitsfreundlicher geworden sind – wir reden noch nicht von Optimum, nur von plus 5 Grad! – wird die Hydraulik ausgebaut und auf der Werkbank zerlegt, Ventile ausgebaut und kleine Drosselschräubchen – die mit den minimalistischen Bohrungen – tauschen. Die Werkbank trieft von Bremsflüssigkeit.
Bremsflüssigkeit: Eine Brühe, wo sich nicht mal der Hersteller zu sagen traut, was drin ist. Wir wissen nur, dass es einem von den Dämpfen schlecht wird, sich die Fingernägel hochrollen und wenn du dann deine Brille anfasst, dann hörst du nachts das feine „Knack“ aufm Nachttisch und das Gestell ist im Eimer. Schuhe halten das auch nicht aus, genauso wenig wie Anoraktaschen. Man kann Blech hygienisch rein vom Lack trennen und ebenso sieht der Motorraum aus in der Umgebung von allem, was sich mit Bremsen befasst oder Felix schon mal angefasst hat.
Die Hydraulik wird wieder vorsichtig auf unserer klinisch reinen Werkbank gesäubert, zusammengebaut, eingebaut und immer mit dem Pfund Hoffnung, es ist alles dicht. Jah, Fehler in der Hydraulik sieht man, wenn es tropft, hast du mal ne Elektronik tropfen sehen? Die machen gar nichts, höchstens rauchen, aber dann ist schon mehr als zu spät.
Fahrzeugbremse entlüften:
In einer Garage, die 5 Zentimeter länger ist als das Auto? Zwischen Werkbank und Auto ein Hintern Platz. Mit Wagenheber ein Rad anheben, Rad abbauen und im Takt die Entlüfterschraube mit Schlauch in ein Gefäss, „Druck ! “ – auf und „Durch“ und zu, „Druck“ auf und „Durch“ und zu … einer tritt aufs Bremspedal, einer bedient die Entlüfterschraube – ins Radhaus gebeugt, die Knie auf dem kalllten Boden, ein Lappen zur Tarnung dazwischen, damit die Hose nicht am Boden abfärbt. Druck -pffft – Druck – pffft – fertig. Man pumpt Flüssigkeit mit dem Pedal durch die Bremsrohre zur Entlüfterschraube und somit die Luft aus dem Bremssystem. Das bei allen Rädern, und wenn nicht alle Luft raus ist nochmal das Ganze von vorn. Gut entlüftet? Das hat man irgendwann im Gefühl. Pedal „ist hart“.
Rad drauf, festziehen, Wagenheber nach hinten, same procedere. Und dann die Seite wechseln. Der Wagenheber muss auch rüber. Wenn wir jetzt die Türe aufmachen, um rüberzukommen ist es wieder kallt. Untendurchschieben? Da fehlen drei Zentimeter, zu hoch. „Das nächste Mal nehm ich einen zweiten mit.“ Zweiten? Der hat doch einen eigenen im Kofferraum! Ich hab mir von Felix für die Idee ein Bier verdient. Er selbst kommt durch den Innenraum – hinten – vorne blockt der Messaufbau und macht sich extra breit – auf die andere Seite.
Nach einer guten Stunde sind wir fertig. Mit aller Kraft aufs Pedal und warten, ob es wandert, ein Indiz für Undichtigkeit. Aber alles OK. Jetzt darf er raus und die Kälte wieder rein.
Draußen bei laufendem Motor und Messaufbau an der berühmten Steckdose. Felix hat ein Schild ans Lenkrad gehängt „Nicht Fahrbereit“, Steckdosenschutz für Ingenieure. „Musse immer bissele mitdenka.“
„Gradienten messen“. Das heißt, mit einem Kasten, der an die Hydraulik angeschlossen ist Ventile schalten und mit dem Messaufbau Druckverläufe aufzeichnen. Mit dem Bremspedal 160 bar drücken und beim Ventilschalten Druck halten, das heißt nachtreten. Man braucht viel Übung und Gefühl, aber irgendwann hat man’s drauf, wenn der Bremsfuß taub ist vom drücken.
Drei Stunden sind mittlerweile vergangen, für einfaches Tauschen von drei Schräubchen, die sich in der flachen Hand verlieren, wie Tropfen im Eimer.
Nachdem dann auch irgendwann die Gradienten gemessen sind, geht es wieder runter zum „Teich“, Messungen fahren mit der neuen Einstellung. Also das gestrige Pensum nochmal. Diesmal ist der Reservekanister voll, Papier unterm Sitz und Kippen dabei.
Nach den Testfahrten fahr ich bei Lennard vorbei, Sprit zu bunkern. Ein Kollege ist grade fertig und jammert mir vor, dass seine Messtechnik spinnt. „Kannst Du mal mitkommen und drücken?“ Ich tanke nicht, stelle das Fahrzeug zur Seite und steig bei ihm ein. Wir kalibrieren uns zusammen die Messtechnik zurecht und am Ende – lass uns mal schnell ne Runde drehen – auf den See. Wir verlabern (-diskutieren) uns, finden uns gegen Abend im Büro wieder und das Telefon klingelt. „Hotel Silverhatten, Recepschuuun, Lennard for you“ … Lennard fragt an, ob er den Wagen, der bei ihm seit Mittag auf dem Parkplatz vor sich hin blubbert nachtanken soll. Er will jetzt heim. ….
©Jürgen Zechmann