Streng geheim! Kapitel 32 – Ausflug nach Vidsel, 1988

Jaaah, das war die Vorentwicklung, damit man mal ohne Kunden in Ruhe was machen konnte, ohne dass gleich der Kunde was gerochen hat. Du weißt ja, Geheimhaltung beim Abendessen und dann die Bar.
Arjeplog war im Winter überbevölkert und potentielle Kunden waren immer zugegen. Wenn man zu dieser Familie gehört, riecht man, was die Brüder grade kochen. Das Blöde dabei ist, dass ein schicker Ansatz zu einem „Problem“ beim Kunden „eins“ vorgestellt wird, der bei unserem Wettbewerber nach ähnlichen Lösungen fragt und schon weiß die Welt, was du unter Auschluss der Öffentlichkeit ausgebrütet hast. Flucht nach vorn, nach Vidsel.
Da betreibt ein schwedischer Autobauer eine Teststrecke, wo man sich einmieten kann. Strecke, Büros, Werkstätten. Schön räumlich getrennt, bis auf die Strecken, aber da konnte man sich auch aus dem Weg gehen. Außerdem waren die üblichen Verdächtigen ja nicht hier.
Die Flucht betraf dann vorwiegend die Abteilung der Spielkinder, der Vorausentwicklung. Wir haben da Sachen gemacht, die Ruhe brauchten und keinen Zeitdruck.
Die Unterkunft: Es ist das falsche Wort, aber für das Hotel „Renkronan“ gibt’s kein beschreibendes Wort, das braucht nen Satz.
Vidsel, gefühlte 100 Einwohner und ein Hotel. „Renkronan“ – Dorfmitte – gegenüber ein militärisches Monument. Hier haben früher – mit uns auch noch ein paar – Soldaten gewohnt, die zur Ausbildung auf dem nahen Luftwaffenstützpunkt waren. Das sieht aber heute noch so aus wie 88. Omen es nomen, 88 – du kannst es drehen und wenden, es wird nicht besser …. Die Zimmer waren etwa 6 qm gross, zu klein fürn Tisch mit Stuhl – nur Bett und n Regal. Und Stahltüren. Es hatte nicht die große Geruchsvielfalt wie die Zimmer im Hatten, weil die keine Konzession hatten. Es roch dagegen immer muffig nach Linoleum und Wachs. Da kam doch von einem Kollegen der Vorschlag, „dann schss doch unters Bett, dann riecht’s wenigstens anders…“ Im Keller, aber nach hinten raus wieder ebenerdig, ein „Kultursaal“. Den hatten wir besetzt und unser Labor aufgebaut. Auto stand direkt vorm Fenster. Die Laboreinrichtung war schon recht neuzeitlich. Wir hatten diverse Rechner dabei, Selbstgebautes. Bildschirme ersetzten die mechanischen Geräte und es gab Software. Juhu, nicht mehr löten und wrappen, sondern tippen und in Listen Fehler finden. Listen, gefaltet so dick wie Telefonbücher. Programmsprache Fortran, hab ich im Studium mal was davon gehört. Weil Fortran sich nicht als Reglersprache eignete, musste von jedem Fahrzeugeinsatz die gesamte Reglersoftware – das Rechnerprogramm – von einem anderen Programm in einer Nachtaktion übersetzt werden. Schnell waren wir nicht, aber verbissen. Mit einer dann selbst gestrickten Rechnersprache konnte man dann schon draußen auf der Strecke schnell was ändern ohne Übersetzung, aber die Sprache zeigte schnell die Grenzen. Also wieder nix.
Wie weiter vorne schon mal gelernt, geht ohne Messtechnik nix und ohne Werkstatt schon gleich gar nichts. So brauchten wir mit zwei Standbeinen (-Orten) auch zwei Schuhe, sprich Messtechnik und Werkstatt doppelt. Die Messtechnik konnte sich ja in der Zeit, wo alles lief anders beschäftigen, aber der Werkstatt wurde es bald langweilig, weil wir ja nur zwei Fahrzeuge dabei hatten. So versuchten wir Werkstatt und Messtechnik mit Arjeplog zu kombinieren. Leider trennten uns fast zwei Stunden Fahrt durchs wilde Lappland. Schnelle Lösungen gingen da nicht. Wir haben da auch nur einen? oder zwei Winter ausgehalten. Kälte war ja schon Strafe, aber Vidsel setzte noch einen drauf. Der ortsansässige ICA war total unterhopft, das war die Höhe.
So musste ich mal nach Arjeplog fahren, dort einen Messtechniker einfangen, der dann während der Rückfahrt die Messtechnik repariert hat. Das war die Tour, in der wir ABS-regelnder Weise mit 50 kmh durch eine Rentierherde geschlingert sind, die sich auf der Strasse tummelten und uns scheinbar nicht bemerkten wollten.
Zur Teststrecke ging es etwa 10 km weiter Richtung Norden mitten in einen Wald – ohne Hinweistafel, nur n Feldweg drei Meter breit geräumt und endete vor einem riesigen Eisentor vor der Teststrecke, das elektrisch und nach außen aufging . So war es immer eine Challenge, so dicht wie möglich so davor zu stehen, dass das Tor die Stossstange nicht getroffen hat. Und es war zweiflügelig. Die Pfiffigen hatten immer den Rückwärtsgang drin, für den Fall, wenn man Schiss bekam. Und so hat sich mal n Kollege so dicht hinter mich geschlichen, dass ich zwischen Tor und dessen Stosstange eingeklemmt war. Nix kaputt, nur Adrenalin verschüttet.

Zwei Daumen und die Geschichte dazu

Unter einem Dach hinter unserer Werkstatt standen zwei Snöscooter (schaut nach was das ist). Die vorsichtige Nachfrage ergab, die gehören zur Werkstatt, wenn man schnell was auf die Strecke gebracht werden musste oder ein Fahrzeug zu bergen war. Die Geräte hatten richtig Power und so machte sich unser Messknecht eines Nachmittags auf, eine Scootertour auf dem Gelände unternehmen zu wollen. Es waren extra Spuren für diese Gefährte abseits der Fahrwege für Autos angelegt, weil man nie wusste, was das Ding so alles treibt. Harry liess sich das Teil erklären und so sollte es bald losgehen. Die Krux war jedoch, dass die mit der Front zur Werkstattwand hin eingeparkt warten und man sollte vorher den Rückwärtsgang – ich seh schon euer Grinsen – einlegen, um aus der Parkposition rauszukommen. Ebenso – nun wird das Grinsen etwas befeuert – ist es bis heute opportun, Gas zugeben und beim Ruckeln l a n g s a m die Bremse zu öffnen. Die Fliehkraftkupplungen sind manchmal schön burschikos. So kam was kommen musste, Harry schoss einen Meter nach vorn bis zur Werkstattwand, die war nicht klüger und gab nicht nach. Da er gedacht hatte, es ginge rückwärts, hatte er natürlich die falscheste Gewichtverlagerung, die für die an der Wand entstandene hohe Verzögerung notwendig gewesen wäre und so griff er behend zu, als es losging und seine Daumen – jap, Mehrzahl, bekamen die volle Körperfülle ohne Voranmeldung von der Wand direkt durchgereicht. Na ja, Krankenhaus und der ganze Mist eben. Mit zwei eingegipsten Daumen bist Du nicht nur das Gespött deiner Umwelt, sondern ein Pflegefall. Nix geht mehr ausser der Gosche. Heimschicken ging auch nicht, der konnte nicht mal alleine auf die Toilette. Ingeniöre als Krankenschwester – wie ich schon mal angedeutet hatte: Vollausbildung eben.

Zeitvertreib im Renkronan

Jaha, da gab es einiges, entweder zu Arbeiten, um den umherirrenden Depressionen zu entfliehen oder Billard zu spielen. Ein solches stand nämlich unten vor dem Saal im „Foyer“ . Zum Spielen musste man 5 Kronen einwerfen, dann öffnete sich eine Klappe und die Kugeln kullerten unten in eine Greifmulde. Der werte Ingenieur macht ja sein Studium nicht um Geld loszuwerden und so war aus einem Stück Bremsleitung schnell eine Blockade für die Klappe gebogen – Flatrate.
Harry legt an, zielt, die anderen lungern in Ermangelung von Sitzgelegenheiten an den Wänden und Pfosten in der Umgebung rum und paff – Licht aus, man hört den Stoss, den Lauf der Kugel, das Klack beim Treffer der nächten Kugel und das Grummeln, das verriet, dass „eingetopft“ war. Applaus. Man kann das ausbauen. Mit einer Flasche Whiskey in der Mitte. Wenn sich die Flasche betroffen gemeldet hat im Dunkeln, gab’s ne Runde für alle. Nun, die augenscheinliche Ebenheit des Feldes und die Anzahl und Position der Kugeln litt etwas drunter, aber die Zeit verstrich ohne dass wir Dummheiten gemacht hätten.

©Jürgen Zechmann