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Rudolfs Verwandtschaft ist groß. In Nordamerika sind es die Karibus, in Sibirien und Nordskandinavien die Rentiere.
Die skandinavischen Rentiere gehören im Gegensatz zu ihren Verwandten in Nordamerika nicht zu den wild lebenden Tieren, sondern zu den Nutztieren. Jedes Rentier, das Du in Schweden siehst, hat einen Eigentümer.
Die nordskandinavischen Ureinwohner, die Samen, lebten Jahrtausende von der Jagd auf Elche und Wildrentiere. Einige Wildrentiere zähmten die Samen bereits früh als Zug- und Lasttiere. Im 17. Jahrhundert semi-domestizierten die Samen dann ganze Rentierherden. Die Tiere leben heute, wie auch vor tausenden von Jahren, im natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten in Freiheit.
Im Mai wirft das Muttertier nach siebeneinhalb Monaten Trächtigkeit ein Kalb. Die Kälber folgen bereits einige Stunden nach der Geburt der Mutter und wachsen im Schutz der Herde auf. Als natürliche Nahrung der in Lappland lebenden Beutegreifer Wolf, Bär, Luchs und Vielfraß leben die Rentiere in Gefahr. Der Staat versucht mit einer Regulierung des Raubtierbestandes und Entschädigungszahlungen die uralte Feindschaft zwischen Mensch und Raubtier zu entspannen.
Im Juni treiben die Samen die Herden an den traditionellen Sammelstellen zur Kälbermarkierung zusammen. Die neuen Kälber folgen ihren Müttern auf Schritt und Tritt, so erkennt der Eigentümer den Zuwachs in seiner Herde und markiert die neuen Kälber mit einem familientypischen Schnitt am Ohr.
Die Herden ziehen dann auf uralten Routen auf Nahrungssuche durch Lappland. Im Frühjahr Richtung Berge und im Herbst kehren sie zu ihren Winterweideplätzen im Osten zurück. Dann ist Schlachtzeit. Die meisten Bullen werden aussortiert und entweder an Rentierschlachtereien verkauft oder zum Eigenbedarf selbst geschlachtet.
Der Rentierbulle hält sich einen Harem von 25 bis 30 Kühen. Ansonsten sind die Rentierkühe jedoch emanzipiert, auch sie tragen ein Geweih. Damit sind die Rentiere die einzige Hirschart, bei denen beide Geschlechter ein Geweih tragen. Nach der Brunft im Herbst werfen die Rentierbullen das Geweih ab, die Damen behalten den Kopfschmuck bis ins Frühjahr. Dies verschafft ihnen einen Vorteil bei der Verteidigung der Futterplätze.
Die Lieblingsspeise der Rentiere sind Rentierflechten, zwei Kilogramm pro Tag verspeist ein Tier. Je nach Jahreszeit stehen auch Pilze und Moose auf dem Speiseplan. Im Winter riechen die Rentiere die Flechten unter dem Schnee und scharren mit den Hufen, um an den Leckerbissen zu gelangen. Haben ungünstige Witterungsverhältnisse den Schnee zu harsch werden lassen oder sogar einen Eispanzer darüber gelegt, haben die Tiere keine Chance. Aufgrund des Klimawandels kommt es leider inzwischen häufig im Winter dazu. Dann müssen die Züchter zufüttern.
Die Rentiere sind mit ihrem dichten Fell, dessen Haare luftgefüllt sind, bestens gegen die Winterkälte isoliert. Ihre breiten Hufe helfen dabei, nicht im meterhohen Schnee zu versinken.
Die beste Chance Rentiere zu sehen, ist auf den Straßen. Im Frühsommer halten sich die Herden gerne dort auf, um den Mückenscharen im Wald zu entkommen und in schneereichen Wintern können sie sich dort leichter fortbewegen. Außerdem lecken die Rentiere gerne das Streugranulat von der Straße. Fahren Sie also vorsichtig, hinter jeder Kurve könnte Rudolf auf der Straße stehen!
Falls es zum Schlimmsten kommt und Du ein Rentier angefahren hast, rufe die Polizei unter dem Notruf 112 an. Markiere die Unfallstelle sichtbar. Knote z. B. ein rotes Band an einem Baum. Ist das Rentier tot, ist es leichter vom Besitzer zu finden. Ist es verletzt worden und im Wald verschwunden, wissen die Nachsuchenden, wo sie ansetzen müssen.
Text: Kirsten Stelling/Winterkurier 2024