Streng geheim! Kapitel 20 – Bierdosenrecycling 1985 und trockene Luft

Fortsetzung Kapitel 19

Aber der Konsum hat ja auch gelernt. In den ersten Jahren hatten die eine Palette Dosenbier, Nyckelöl, gleich neben dem Eingang stehen. Blauäugig bei einem winterlichen Dorf voll Ingenieuren. Ein, zwei Jahre später waren es dann schon drei Sorten und drei Paletten. Und der Rückgabeautomat daneben! 1985! Simpel, aber menschfrei. Der werte Leser wittert schon wieder was: Ingenieure interessieren sich für Technik. Und sind getrieben von Neugier, was so einen Rückgabeautomaten im Innersten zusammenhält. So nahm sich der dumme Ingenieur doch mal eine volle Dose aus der Palette daneben und steckte sie in den Automat, der sie zur großen Verwunderung schluckte und es erklang das beim Füttern normale, knirschende Geräusch, diesmal jedoch getoppt mit einem Tschschschscht und – unten lief ihm das vom Eisen befreite Bier mit schönster Schaumblume vor die Füße.

Überliefertes Originalzitat : „Es ist so erhebend, wenn’s oben knirscht und dann unten die Brühe rausläuft.“

Als er uns das dann erzählte, war der Entschluss, es uns morgen vorzuführen zu lassen, Ingenieure aufschlauen, schnell gefasst und jeder fieberte dem Besuch entgegen. Großer Bahnhof, groooße Enttäuschung, der Automat stand vor der Türe und man musste das Leergut vor dem Betreten des Ladens entsorgen. Schnellmerker. Irgendwann hat die Maschine auch eine „Volledoseerkennung“ bekommen, war ja sinnvoll, bei so viel Intelligenz in der Welt. – Hat ja schon Einstein erkannt. Aber bei uns war das ja „Konstruktiver Scheiss“.

Das kingt alles so, als ob wir vom Bier gelebt haben, aber die ungedopten Getränke waren nach Schwedischer Art derart süß, dass man das auf längere Zeit nicht ausgehalten hat. Zweitübliches Getränk war Kaffee, der echte, gekochte. Nur war damit immer ein Gang in die Küche verbunden. Wasser aus dem Hahn war köstlich, aber irgendwie geschmacksfrei. Noch heute erkennt man die „Touristen“ daran, dass sie Mineralwasser im Konsum kaufen, obwohl das Trinkwasser aus der Leitung – leider ohne Blubb – besser war. So nahmen wir uns die kleinen Tütchen Brause aus der Heimat mit. Waldmeister oder Himbeere. Wegen der niedrigen Luftfeuchtigkeit hattest Du immer das Gefühl, ausgetrocknet zu sein. Wenn du in die Luft gespuckt hast, kam unten nichts mehr an. Wir haben mal ein nasses T-Shirt bei minus 30 vors Fenster gehalten, das „trocknete“ quasi im Handumdrehen. War bocksteif, aber trocken. Genauso trocken waren die Fingernägel. Nach einer Woche waren alle abgebrochen. Wenn man beim Türeöffnen am Griff abgerutscht ist, war immer ein Nagelopfer dabei.

Arjeplog01_kapitel20Durch die trockene Luft war auch die elektrische Aufladung ein riesen Thema. Wenn man sich eine Elektronik übergab, hat man sich erst die freie Hand gereicht – für Potentialausgleich – und dann erst die Elektronik. Das begleitende „pitsch“ hab ich heut noch im Ohr. Die hinterhältigen Kollegen sind im Hotel über den Teppichboden geschlurft, haben sich aufgeladen, von hinten angeschlichen und dir dann den Autoschlüssel ans Ohr gehalten.
“ – pitsch – „. Viele elektronische Bauteile sind diesen Überspannungstod gestorben. Unsere Lager leerten sich zusehends. Wir sind mit Kabelverbindungen vom Handgelenk zum Heizkörper im Büro gesessen und haben an elektronischen Teilen hantiert. Wehe es kam einer dazu ohne Erdung, das gab meist Ärger. Man wusste ja nie welcher Baustein abgehimmelt war. Das hieß immer mühsames Fehlerfinden. Beim Rausgehen war es auch sinnvoll, sich zuerst abzuleinen. Üble Kommentare folgten meistens: „Irgendwann reißt er uns noch den Heizkörper aus der Wand.“

Mit Essen wurden wir von Gunn-Marie und ihrer Hotelküche versorgt. Frühstücksbuffet, Mittagessen, Abendessen. Wobei das Abendessen auch immer sehr oppulent und zeitlich spät war. Mit vollem Magen kann man nicht schlafen, deshalb war das auch ein Grund zum langen abendlichen Zusammensitzen.

Es liest sich manchmal, als hätten wir nur Legenden fabriziert, aber wenn Du den ganzen Tag innovativ sein musst, um Messtechnik, Glatteis und Regelalgorithmus mit immer neuen Ideen bei Laune zu halten, kannst Du nicht um acht abschalten und vernünftig werden. Wir hatten Lösungen für Probleme, die es nicht gab.

Cookie, …
… der Koch war ein älterer Herr, der uns anfänglich mit Gehacktem in allen Variationen und Formen bekochte. Buletten, falscher Hase, dreieckig, viereckig, hamburgerich, Köttbullar (sprich: „Schöttbullar“ = Schwedisches Nationalgericht, Fleischklößchen) immer mit Kartoffeln, auch in allen Variationen, gekocht, frittiert, zermanscht und klebrig. Wenn man das gut mischt, kann man locker zwei Wochen unterschiedliche Menues kreieren. Eines Abends ist einem unserer Scheffes der Kragen geplatzt, er ist mit den Worten „Jetzt bring ich ihn mit seinem Gehackten um“ in die Küche marschiert und hat ihn zur Rede gestellt. Er solle doch mal ein Schwedisches Kochbuch kaufen und von vorne bis hinten durchkochen. Da ging ein Leuchten über seine Augen und man hörte den Stein plumpsen, der ihm vom Herzen gefallen ist. Er hat sich nicht getraut und „aber gehört, dass sich die Deutschen gerne von Gehacktem ernähren“. Ihm seien schon die Variationen ausgegangen. Ab da gab’s Elchsteak, Rengeschnetzeltes, Lax, Röding und so weiter.

©Jürgen Zechmann