Manchmal liest es sich wie Urlaub und den ganzen Tag Konstruktiver Scheiß. Falsch, richtig falsch:
Draußen unwirtlich, Schneegestöber bei minus zwanzig, eher Grisel, der im Gesicht beim Aufschlag schmerzt. Dunkelheit , Neonlicht. Kälte frisst sich schnell durchs Leinen. Wenn du dich bückst, rieselt es dir in den Kragen, schmilzt und sabbert am Rückgrat entlang ins Unterhemd oder tiefer. Wenn du dich jetzt im Autositz anlehnst, kommt die zweite Überraschung. Nasskalt von hinten. Wann lässt jemand mal den Hut rumgehen?
Frühstück ab sieben, um acht Uhr dann zwanzig Minuten „Morgengebet“ im Büro oder unten zwischen Harolds Möbeln. Ein paar Dosenverschlüsse von gestern animieren zum Spielen. Einer spendiert ne Runde Heftpflaster für die Daumen. Der Kassettenrekorder schweigt manchmal, wenn es zu sehr nervt. Der gestrige Tag wird besprochen, rekapituliert, auch was gestern Abend in gemütlicher Runde noch ersponnen war und dann nüchtern betrachtet gezielt umgesetzt werden soll. Man konnte aus den gefundenen Fehlern der Kollegen lernen, wo die Steine liegen und so war der Know-How-Schub enorm. Du musst nur weiter, um die Ecke denken. Tagebuch ist obligatorisch. In drei Wochen Wintererprobung hat man mehr gelernt als in einem halben Jahr zuhause. Hier waren ja auch alle notwendigen Kollegen da, die Verzahnung war super und das Telefon war ja sooo weit weg. Die „Werkstatt“ hat gewusst, was kommt. Da hat aber schon mal der eine oder andere fachfremd gearbeitet oder durch „dumme“ Fragen Gedanken generiert, die zielführend waren. Da wir täglich rund 16 Stunden beeinander waren, gab’s natürlich auch den Lagerkoller, nach professionell bestätigten zehn bis zwölf Tagen. Das unterliefen wir, ungeplant, rein instinktiv. Wir haben ihn uns durch Blödsinn, den Tageshauptschuldigen und den Konstruktiven Scheiß meist vom Hals gehalten. So gab es immer einen dummen Spruch, wenn es anfing langweilig oder eintönig zu werden. Und es gab viele Sprüche, die aber ohne Erklärung und Beschreiben der Umstände nicht verstanden werden: „Du kannsch doch eine Elektronik net ÖÖÖlen!“ „Alle Räder stehen still, wenn mein starker Fuß es will.“ „Ich komm nicht auf Geschwindigkeit.“ „Versenk es im See.“ „Wo ist die Straße?“
Nach dem Morgengebet ging jeder seiner Aufgabe nach. Musik wieder anwerfen. Einer fragt nach einer anderen Kassette, aber er bekommt keine Antwort. Gradienten messen, Drosselschräubchendurchmesser ausrechnen und dann tauschen mit dem ganzen Programm drumrum. Bremsbeläge tauschen, Bremswege fahren, auswerten, Messreihen fahren, Auto freibuddeln und auswerten. Kaputte Druckaufnehmer tauschen, Fehler finden und abstellen, sich neue Fehler einfangen, Schriebe beschriften, falten, ablegen und so weiter und so fort.
Wer fahren musste, konnte sich morgens erst sportlich betätigen und sein Auto ausgraben, Scheiben freikratzen, Motor – gegen jede Vernunft – warmlaufen lassen, wenn er denn lief. Manche Motoren sprangen schon beim ersten Besuch des Kolbenbodens bei der Zündkerze an, andere Fahrzeuge mussten mit Trick, Wut und einer Schlepptour Richtung Norwegen zum Laufen gebracht werden. Kollege saß frierend auf dem Fahrersitz, Hände gefaltet zwischen den wärmenden Schenkeln vergraben und hielt das Gaspedal am Bodenblech fest. Ein Schrauber entfernte alle Zündkerzen und entlüftete den Brennraum vom Sprit. Natürlich draußen auf dem Parkplatz, mit Schneegestöber und kallltem Wiiiind und Neon von der Straßenlaterne, die zufällig daneben steht. Nach einer Weile, Kerzen wieder rein und starten, bis die Batterie leer ist. „Fuß aufm Gas lassen, ich hol ne neue Batterie!“
„Mach hinne, mein Bein schläft ein – ich bekomm‘ n Krampf, Scheißkarre, reif für den See.“
Schnell zwischendurch, bis die Batterie da ist: Beim Durchtreten des Gaspedals gab es immer eine Anreicherung des Gemisches, also ne extra Ladung Sprit und die hat an den Kerzen kondensiert und es gab keinen Funken, also keine Verbrennung. Das niedergehaltene Pedal hat dies verhindert. Wer sich noch mit Vergasern auskennt, kennt das, aber die heutige Jugend … .
Dann, endlich pott pott pott, erst eins dann zwei dann drei dann vier, dann steht die blaue Wolke vor der Tür.
Das führte manchmal dazu, dass wir einen morgens angeworfen und erst abends wieder ausgemacht haben, auch wenn er mal nur einmal gebraucht wurde. Es war eben Tagesprocedere, die Abgas- Dampfwolken standen allmorgendlich vor dem Hotel. Als die Diesler kamen, gab’s etwas Farbe dazu, schönes, helles Schwarz. Hat sich dann auch auf dem Schnee der Dächer auf der Parkplatzseite gesammelt. Schicht für Schicht, wie Baumkuchen.
Mittagspause, Essen gab’s bei Gunn-Marie. Überraschung, wenn nicht einer beim Kaffeeholen schon die Kunde aus der Küche mitgebracht hat. Nach dem Essen, Verdauungszigarette mit Kaffee in der Sitzecke vor der Rezeption, dem Einarmigen ein paar Kronen opfern. Weiter im Programm bis zum Abendessen gegen acht Uhr, manchmal auch erst um zehn, wenn eine Messreihe mal wieder länger gedauert hat oder man sich festdiskutiert hatte, mit Worten oder im Schnee. Beim Schrauben in der Garage lief einem auch die Zeit davon, deshalb haben wir festgelegt, die nordischen Tage sind kürzer, weil wir näher am Pol sind. Diese Theorie eignete sich besonders zu abendlichen hochintelektuellen Fachdiskussionen, ebenso, dass die Erde eine Hohlkugel ist, was man von den gebogenen Sohlen der Stiefel ableitete. Ach so, kennt einer die Theorie der Dunkelsauger? Fragt mal die Welt!
Wochenende war oft nur im Kalender. Wir haben lieber das Wochenende durchgearbeitet, als hinten eine Woche dranzuhängen. Wenn aber die Lösung fast auf der Hand lag und man das Gefühl hatte, jetzt bist du fast dran, dann sind auch schon mal sechs Wochen am Stück drin gewesen oder eine Tour nach Ostern. Heißt, Donnerstag heimfliegen, Dienstag wieder hoch, aber dazu gibt’s wieder ‚ ne besondere Geschichte.
©Jürgen Zechmann