Die Hotelzimmer werden richtig knapp, es gibt keine Unterkunft mehr im Dorf, ins „Stora Hotellet“ im Dorf konnte man nur im Neopren oder nach Tetanusvolltherapie. Wir fahren zum Schlafen nach Arvidsjaur oder nach Laisvall. Stunde oder ne halbe Fahrt durch wildes dunkles schneegestöbertes Lappland – täglich, solange Betten in Arjeplog fehlen. Da haben uns schlaue Arjeploger mit einer auf der Welt einmaligen Hilfe unterstützt. Sie ziehen wie zu einer Urlaubsreise aus ihren Häusern aus, wohnen im Wohnwagen oder bei der Oma und vermieten uns ihr Haus. Somit gibt es – bis heute – Häuser für zwei, drei oder vier Tester, die dann in Wohngemeinschaft bei Selbstversorgung ein wohliges Zuhause hatten während ihres Aufenthaltes und die Unterkunft war entspannt. Respekt! So ergeben sich zwischenzeitlich auch winterliche Freundschaften, Lieblingshäuser und Geheimtipps. Ebenso haben sich meist diejenigen zusammengefunden, die auch sonst „miteinander konnten“. Es wurde zusammen gekocht und nebenbei auch etwas gefeiert. Der Automatismus ist erwachsen geworden. Alles nicht mehr so hart – das Leben. Gar mancher Vermieter dankt den warmen Regen mit einem selbst gebackenen Kuchen, einer Schale mit Obst oder einer Schachtel Pralinen. So hat sich Arjeplog zu einer Gemeinde entwickelt, die die meisten großen Fernseher, Videorecorder und sonstigen HIFI-Anlagen, später Schüsseln und WLan hatte.
Kam man ein Jahr später zurück, waren Wohnzimmer und Küche frisch bemöbelt oder es stand frisches Blech in der Garage.
So, wir waren bei Greti einquartiert, Zweimädelhaus als Dreimannhaus mit offenem Kamin, Röhrenfernseher und Videorecorder. Haus mit einem schwedischen Allrum, also Küche und Wohnzimmer in einem und zwei Kinderzimmern als Schlafzimmer und das Elternschlafzimmer. Ein Bad mit Topf und ein Topf extra. Garage fürs Blech.
Greti war dem Inhalt ihrer Bücherregale nach Altmarxistin, hatte Vorlieben zum Reiten und eine Tochter, mit etwa zwölf Jahren, fuhr einen uralten Stern in lindgrün mit deutscher Nummer, vielleicht wegen der Rückreisegarantie? Ihre Erscheinung war eher unscheinbar, wenn man nicht richtig hingeschaut hat, hat man sie nicht gesehen, und viel Luftbewegung dürfte sie weggeweht haben, nur ihre Größe war da von Vorteil, den Wind zu unterlaufen. Sie diskutierte gerne abendlang alte 68er Themen, konnte die Welt nicht verstehen und hatte Stress mit der Erziehung der Kleinen. Greti war dominant ordnungsliebend, was sich über die Zeit gesehen mit unserem Lebensstil nicht ganz deckte. Warum soll ich viertelvolle Mülleimer täglich rausbringen oder Kekskrümel weg saugen, wenn die Tüte noch nicht leer ist?
Abends wird vorm Fernseher die eine oder andere Schachtel Kekse – oder noch infernalischer – Erdnüsse zum Pulen – verdrückt. Natürlich ist man abends zu faul, das Ganze weg zu räumen, morgens ist man noch nicht ganz wach dazu und so verlegt man die Restauration des Wohnzimmers auf den Abend. Dumm gelaufen, mein Lieber. Greti kommt gegen Mittag unvorhergesehen heim, wahrscheinlich zum Blumen gießen, findet das Krümelfeld, die leeren Dosen und gebrauchten Gläser und verfasst ein geharnischtes Schreiben, das sie dann, mit einem unserer Gläser beschwert, provokant auf dem Küchentisch festklebt, wobei das Kleben vom Glasboden erledigt wurde. Der Staubsauger thront mittig im Wohnzimmer, das Kabel in der Wand, so richtig fertig zum Loslegen positioniert.
„Bei mir wird nicht gekrümelt und Krümel werden sofort abgesaugt und Gläser … und so weiter.“ Wer mal ne zoffige Vermieterin in der Studentenbude hatte, kennt das Prozedere.
Mir fällt da einiges aus der „Trilogie auf Frau Pohl“ ein, von Reinhard Mey.
Wir reagieren ingeniös, relaxed, provokant lernresistent. Unsere Krümelspur endet nicht vorm Sofa, sondern zeigt den Weg zum Sauger im Dielenschrank. Mitten im Wohnzimmer hängt statt Lampe eine Blumenampel von der Decke, just in der Höhe, dass sich der normal gewachsene Mitteleuropäer die Birne einrennt, wenn er nicht aufpasst. Greti und Tochter liefen aber grade so unten durch. Wir brachten dann den Hängegarten in eine nach uns optimierte Höhe, was zur Folge hatte, dass Greti zum Gießen nicht mehr ohne Leiter ran kam. Wieder das Schreiben und kleines Programm.
Die Böden in Küche und Nasszellen waren nicht wie bei uns mit Fliesen belegt, sondern der Holzboden ist mit PVC oder Linoleum beklebt. Fliesen sind in Schweden Luxus und kosten Luxussteuer.
Die Klobürste war im Bad platziert, wir hatten uns aber geeinigt, Groß im Separee, Klein im Bad. Folglich muss die Bürste ins kleine WC für Groß. Als wir morgens gingen, war die Bürste im Kleinen, abends wieder im Bad. Nach einigen Umzügen und anschließenden 68er Diskussionen, wo die Bürste ihren Hauptwohnsitz hat, ist uns der Kragen geplatzt. Wir haben den Halter samt Bürste im WC auf den Boden gespaxt. Erweitertes Programm, mit Zusatz der Androhung der Entfernung. Nicht die Bürste – UNS!
Nach einigen Beschwichtigungen haben wir rausgefunden, dass sie auf Gummibären steht. Unerklärliche Spitze in der Bärenverkaufsstatistik.
Gretis Fernseher war einer der größeren zu der Zeit und so haben wir uns zwei- oder dreimal die Woche einen Filmabend gegönnt. Spiel mir das Lied vom Tod. – Nur den! Die Kassette war mittlerweile mit dem Recorder per Du, aber der Doofmann von Henry hat nach dem dritten Mal noch immer nicht begriffen, dass es ein Hinterhalt ist und wer der Typ mit der Harmonika war. Nicht lernfähig die Amis, aber die Kommentare mutierten von Abend zu Abend. Wenn neue Gäste kommen, ergeben sich weitere Gesichtspunkte. Harry hatte sich das Bärenfell von der Wand vorm Fernseher ausgelegt und sich im Dreistreifensmoking drauf drapiert, die Sessel und Stühle waren in Kinobestuhlung aufgestellt, wobei dann das Sofa von der Wand abgerückt werden musste, damit die höhere Küchenbank dahinter passte. Erdnüsse kamen mit den Gästen. So bot das Kino locker zehn Zuschauern Platz. Es durfte alles, nur nicht geraucht werden.
Das auf morgen verschobene Rückräumen wurde kommentiert: „Da muss sie durch.“
Es kostete mehrere Kilo Bären, dass wir nach dem Abend wieder nicht aufgeräumt hatten.
Außerdem roch es verräterisch nach Abgebranntem und Vergorenem.
Harry hatte sich ein Feuer im Kamin angemacht, legte sich auf sein geliebtes Bärenfell, schlief ein und ein Kollege hatte die Dunstabzughaube angeschaltet, um Zwiebeln für die Bolognese zu schneiden, ohne Blickverwässerung. Als dann doch das Tränen anfing, hat er zur Seite geschaut, um Unterstützung zu erfragen. Da sah er in eine Nebelwand, die sich vom Kamin quer durchs Zimmer in den Abzug erstreckte. „“Gegen Moskitos im Wohnzimmer. – Bei minus zwanzig? – Hier drin hat’s Plus – und wo sind die Moskitos? – Weg, siehste? „“ .
Das Haus hatte auch eine integrierte Garage. Es war minus 30, spät abends als wir heimkamen und in der Garage – keiner weiß warum, bemerkten, dass ein Blechtank , so 4 oder 5 Kubikmeter groß neben dem Fahrzeug steht. Er stand da schon immer, nur hat uns das eben jetzt erst stutzig gemacht. Draußen waren es minus dreißig und die Garage war nicht besonders warm. Konstatiere: Heizöltank. Ingenieure wissen, dass Heizöl wie Diesel im unteren Temperaturbereich versulzt. „Wenn uns das Ding heut Nacht einfriert, ist morgen die Bude ar…kalt.“ „und ?“ „Heizen!“ Wir also zurück in die Werkstatt und alle Fahrzeugheizer (Heizlüfter, in S normal, steht im Fußraum des heiligen Blechs und wärmt über Nacht das Fahrzeuginnere) , die wir im Lager fanden, mitgenommen – mit Kabel und Steckdosen und – mit allem.
Jede Steckdose in Garagennähe wurde mit einem oder mehreren Heizern bestückt, so viel hatten wir schon gedacht, dass wir keine Dose überlasteten, aber bei Öffnen des Eisschrankes war das Haus dunkel. Zitat-Fenster-Wort mit S. Wo ist der Sicherungskasten? Warum haben wir mit dem Rauchen aufgehört? Kein Feuerzeug in der Tasche. „Ich erinnere mich an Kerzen im Staubsaugerschrank.“ „Kerzen brennen nicht vom Anschauen … “ „Reibung?“ „Wie macht Harry eigentlich immer den Kamin an?“ Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Es riecht im Dunkeln noch immer etwas nach Moskitos.
Letztlich haben wir dann Greti doch angerufen. – Nix kaputt, nur kleines Malheur – Greti kann durchs Telefon Stimmen belegt mit Angstschweiß riechen – wir haben aber geschafft, dass sie nicht kam, wegen der minus 30. Dem Himmel sei Dank. Da haben wir die Telefonnummer aus dem mittlerweile gefundenen Sicherungskasten angerufen. Sicherungskasten war hinter der Haustüre. Man musste nur die Türe schließen (schwedische Haustüren gehen nach außen auf!), dann sah man ihn. Ingenieursicher versteckt. Arne kam und hat gefragt, was wir getrieben hätten. Ihm konnten wir ja erzählen, um was wir uns gesorgt hatten. Mit einem verschmitzten Lachen hat er uns aufgeschlaut, dass der Öltank uralt ist und das Haus elektrisch beheizt wird.
Da war doch noch das überbehütete Töchterlein, das sie zweimal die Woche zum Reiten brachte und solange am Gatter wartete. Reiten unter Aufsicht, damit die bösen Schwedenjungs nicht … – ouh Mann – das arme Kind. Wir haben sie mal kurz ohne Mutter erwischt und gefragt, ob sie mal solo reiten gehen möchte, da hat es ein Leuchten in ihren Augen gegeben, das jede Winternacht erhellt hätte. „Wir denken mal drüber nach. Thema fürn konstruktiven Scheiß.“
Greti ging immer erst nach dem Hausputz am Nachmittag mit ihr zum Reiten. Das haben wir ausgenutzt und ihr Fahrzeug vor der Garage mit unserem blockiert. Kollege hat ihr eröffnet, dass WIR die Kleine zum Reiten bringen, sie muss dem Kind seine Freiheit geben. Außerdem war noch nicht fertig geputzt und wenn, kann man das spontan wieder ändern. So nahm das Ganze seinen Lauf. Verbalattack 3.0 ! Nachdem wir die Kleine wieder abgeliefert hatten, ging das Lamenti weiter, war aber schon deutlich verbraucht. Die Kleine hat sich gefreut wie ein König und die ganze Aktion für das nächste Mal gleich wieder gebucht. Und wir haben neue Worte gelernt.
©Jürgen Zechmann