Die Zeit schritt voran und es war Anfang/Mitte der 80er.
Die Spielkinder haben rausgefunden, dass es kein Leichtes, aber Machbares ist, wenn man was Programmierbares hätte, das Änderungen schneller ändern lässt. Bisher wurde gelötet und gewrappt – jetzt muss ich wrappen erklären.
Schnellbleiche: Platine fast DIN A4 groß, eine Seite lauter Chips (nicht die aus Kartoffeln, die anderen), das sind kleine Plastikriegel mit acht Füßen, die in kleinsten Röhrschen stecken, die auf der anderen Seite der Platine ca. 2 cm lange spitze und kantige Pins haben. In den Platikriegeln sind Transistoren oder andere Minibauteile und die Füße sind deren Ein- oder Ausgänge. Die Pins werden mit Pins anderer Chips mit Drähten verbunden – bene?
Auf Wikipedia („Halbaddierer Aufbau“) gibts n Bild, das sowas als Plan zeigt. Die Enden X,Y,C,S sind dann an den Füßchen nach außen geführt. Unsere Pläne waren ungefähr n halben Quadratmeter groß und davon n ganzer Ordner voll. Soweit so gut.
Die Verbindung mit den Drähtchen wurde mit einer pistolenartigen kleinen Maschine gemacht. Man hat das Drähtchen mit der Maschine um den Pfosten gewickelt. – Immer noch bene?“ – Wenn man nun eine Logikänderung vorhatte, also „wenn A eintritt, mach B“ passt nicht mehr, dann wird geändert „wenn A eintritt, dann C“.
Und der Wrap dazu: Verbindung Füßchen A mit B trennen, dokumentieren, das kleine Drähtchen entfernen und ein neues von A nach C wrappen, dokumentieren. Die Krux war, wenn über das Drähtchen AB ein weiteres gewickelt war, musste das erst entwickelt, dokumentiert und später wieder gewickelt werden. Das zog sich manchmal, weil die entfernten Drähtchen nicht wiederverwendbar waren. Damit man das alles wieder in Ordnung brachte, musste man nebenbei eine Liste führen, was man alles gemacht hatte. Das Teil sah dann aus, wie ne Bürste voller Haare. Finde da mal ’n Fehler …
Weiter mit Computer. Der sollte das Logikanpassen vereinfachen. Man hatte einen Rumpfregler, das heißt, nen Breggl (Brocken) Software, die man mal geschrieben und ausprobiert hatte, die mit dem Fahrzeug und der Hydraulik zusammen eine Grundfunktion von ABS oder dann ASR darstellen konnte. Hat manchmal gebremst, ohne dass man gleich im Graben lag, aber eben nur manchmal. Die Feinheiten mussten darin einprogrammiert werden. Es war auch kein „Entscheidungsregler, wenn A dann B usw.“ mehr, sondern man konnte physikalische Gegebenheiten mathematisch darstellen. Ja, wenn schon „Heitech“, dann richtig High Tech.
Da findest du plötzlich deine alten Ordner aus dem Studium wieder interessant. Regelungstechnik, PD-PI weißderGeierwas noch alles. Zeitglieder, Zähler. Es eröffneten sich ungeahnte Horizonte. Heizer auf der E-Lok ist nicht mehr, da brauchste nen Inschinör!
Die Kiste (erbärmlicher Ausdruck für das High Tech-Gerät) musste Eier legen, fliegen, singen und bremsen, nebenbei messen und alles auf einem Bildschirm anzeigen. Fraß 25 Ampere und brauchte ne extra Batterie und die ne fette Lichtmaschine. Da die im unteren Drehzahlbereich, also bei Standgas nix gebracht hat, war in einer Stunde die Batterie leer und du bist heim gelaufen. Warum das Standgas? Nach jeder Messung bist du ne viertel- oder halbe Stunde gestanden und hast gehirnt und programmiert – ohne zu fahren. Also muss das Standgas erhöht werden. Bei den damaligen Motoren ziemlich einfach mit einem Taschentuch als Provisorium und später mit einem Kabelbinder das Ende vom Gaszug im Motorraum etwas blockiert, dass „es“ nicht ganz zurückgehen kann, sondern den Motor immer etwas schneller hat laufen lassen, damit die Lichtmaschine … ingeniös eben. Die Leute draußen haben zwar anfänglich verwundert geschaut, wenn man mit jaulendem Motor an der Kreuzung wartete, aber ein freundlicher Gruß nach draußen hat Verständnis geweckt, wenn auch mit Kopfschütteln. „Engineers“
So, dieser Rechner hieß „MIDAS“, nach dem „Erfinder“ und war weiblich, weil er gut zicken konnte. MendelsIntelligentesDatenAufarbeitungsSystem. Midas konnte viel, wenn nötig 15 Magnetventile gleichzeitig ansteuern, messen und auswerten, und wenn man es ihr beigebracht hat, auch Liedchen spielen. Wenn sie erkannte, dass die aktuelle Bremsung in die Büsche (denke Schneewall) geht, hat sie das Lied „Adios Amigo Good Bye“ gespielt.
Sie konnte auch – in einer dunklen Winternacht programmiert, Schiffe versenken und später auch mit sich selbst spielen. Klingonen im Universum, konnte sie auch, 15 Level. Und das Wichtigste, sie konnte unsere Arbeitszeiten so ausrechen und drucken, damit unser Sekretariat zuhause keine Arbeit mehr damit hatte. Dieses Programm hat sich mit Modifikationen und Neuauflagen bis heute gehalten. Wir waren unserer Zeit auch da schon weit voraus.
Sie hatte Einstellschalter an der Front, damit man während der Bremsung zwischen mehreren Varianten umschalten konnte. Und sie war gegenüber der Riesenkiste vom ABS2 tragbar. So groß wie drei Schuhkartons nebeneinander und wog dabei keine 10 kg. Leichtes Mädchen!
Man hatte ihr eine eigene Programmiersprache beigebracht, was sich aber nicht lange hielt, weil man ihr den Sinn von manchen Vokabeln nicht vermitteln konnte. Zickig eben.
Wenn sie nicht wollte, saßen wir nächtelang an Ausdrucken von Programmen und suchten Fehler, die sich natürlich erstmals bei zu wenig Straße zeigten. Nach dem Fehler kommt das Schaufeln und dann die Suche nach der Ursache. Hier haben uns unsere Messschriebe geholfen, die auch gelernt hatten – mittlerweile konnten wir viiieeel mehr Signale aufzeichnen, aber die Krux war, dass es nicht mehr mit dem Fotopapier ging, sondern am Bildschirm. Ausdrucken ging dann auch nur noch auf Din A4. So kommen wieder alte Fingerfertigkeiten zutage: Schnippeln und kleben und zur besseren Übersicht – Farbstifte, die aus der flachen Blechschachtel mit Goldrand. Den kleinen Schraubenzieher durch Schere, Kleber und Buntstifte ersetzt. Neuzeit eben. Und dafür haste studiert! Vollausbildung in Theorie und Praxis. Wieder mal Zeit den Hut rumzureichen.
©Jürgen Zechmann