Streng geheim! Kapitel 35 – uuund Action!

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Wir hatten einen durchaus innovativ denkenden Scheffscheffscheff, der unberechenbar neue Bremsregelsysteme erfand, damit wir sie nachbauten und erprobten. Damit nicht viel Zeit vergeudet war, wurde uns eine Prinzipskizze, auch schon mal auf Silberpapier aus einer Zigarettenschachtel, überreicht mit ein paar knappen Worten der Erläuterung und dem Auftrag der Umsetzung. So kam es auch schon mal vor, dass wir vom Fahrversuch neben der Drehbank unten in der Versuchswerkstatt dem Dreher die Abmessungen sagten und das Teil „HiM“ vom „Hirn in die Maschine“ gefertigt wurde. Hat meistens funktioniert, aber nachdem die Teile fertig waren, musste der Konstrukteur das Ganze noch zu Papier bringen, was gewaltig Schimpfe und Frust erzeugte. Das war dann so, dass er den bremsflüssigkeitstriefenden Brocken auf dem Schreibtisch hatte.
So hatte sich die Idee der verschieden großen Drosselschräubchen wie folgt niedergeschlagen.
Jede Radbremse bekam für den Druckaufbau zwei verschieden große Drosseldurchmesser. Einen kleinen, einen großen. Damit man wählen konnte, durch welches die Brühe zu fließen hatte, war jeweils ein Magnetventil davor und das für jedes Rad, macht acht fürs Fahrzeug und nochmals für den Druckabbau je eins sind zwölf. Das Ganze war auf eine schlau gebohrte Aluplatte aufgebaut und immer drei Ventile gemeinsam mit einer weiteren Platte verschraubt. Ein Teil etwa 30 cm lang, 15 cm breit und gute zehn Kilo schwer. Die hydraulische Verrohrung außen rum glich einer Hydra. Unsere Vorentwicklung musste eine Elektronik bauen, die das Orgelspiel beherrschte, ganz abgesehen vom Algorithmus. Irgendwann hat’s auch funktioniert, aber das war ja nur der Anfang. Ab in die Wintererprobung damit, ob man damit die dicke Brühe bei minusdreißig beherrschen konnte. Es war ja bisher so, dass beim ganz normalen Bremsen die Suppe ja immer durch die kleinen Löcher musste und da das Zeit kostete, konnte das Fahrzeug solange ungebremst oder wenig gebremst weiterfahren.
Die Ergebnisse waren ansehnlich und man beschloss, diesen Weg weiter zu beschreiten. Aber mit zwölf Ventilen und zehn Kilo ist da kein Kunde zu begeistern. Die Lösung war ja auch nicht der Zwölfzylinder, sondern ein Schieberventil zu bauen. Der Brocken sollte ja nur die Funktion nachweisen.
Letztendlich hat sich die Konstruktion selbst übertroffen und ein Gerät konzipiert, das Preise verdient hätte. Ein Stahlzylinder mit etwa 6 cm Durchmesser und 15 cm Länge beherbergte einen vielleicht 6 mm dicken und zehn Zentimeter langen, innen hohlen Schieber, der mit veschiedenen Löchern versehen war und wenn man ihn in dem Stahlklotz hin und herschob, genau die Ventilstellungen des Zwölfzylinders darstellte und die entsprechenden Löcher im Stahlmantel miteinander verband. Nur konnte man nicht mit Dichtungen arbeiten, sondern entschied sich für „metallische Dichtung“. Das heißt, der Schieber und die Bohrung waren so hochgenau gefertigt, dass die Flüssigkeit nicht dran vorbeikam. Soweit mal zum Verständnis. OK? Na also.
Zum Bewegen des Ganzen war jeweils vorne und hinten ein Magnetventil angebracht, die den Schieber mit Druckpulsen aus Flüssigkeit aus einem Druckspeicher in seine gewünschte Position brachte und die Bremsflüssigkeit über die Verbindungen dann durch die richtigen Drosseln zu den Bremszangen floss. Natürlich war da jede Menge Messtechnik dran verbaut, man wollte ja wissen wo der Schieber grade war und die Elektronik war ja auch dran interessiert. Dazu gab es in der Mitte eine Stelle, die freigespart war, auch wegen der Bremskreistrennung und ein Alublech an der Schiebermitte nach draußen stand. Daran war erst mal ein Wegmesser angebracht. So waren die Schieberbewegungen nicht nur messbar, sondern auch sichtbar. Weil es aber nicht so einfach war, die Anschläge rechts und links zu erkennen, brauchten wir zwei Miniatur-Endschalter. Und die gab es am Samstag Nachmittag im Sekretariat in der Olivetti am Schlitten. – Für die Jüngeren: Das ist eine Schreibmaschine, fragt mal das große Internet danach, vielleicht wissen die das noch. –
Der Stahlzylinder wurde in unserer Versuchswerkstatt gebaut, der Schieber kam aus einem Firma-Werk weit weg. Der Transport des hochgenauen Teils war in einer mit Watte gepolsterten Schachtel im Handschuhfach eines Taxis. Der Zusammenbau war dann Engineering der Sonderklasse. Den Stahlklotz hat man aufgeheizt, den Schieber runtergekühlt, so dass mathematisch ausgerechnet die Teile aufgrund ihres Temperaturverhaltens locker ineinander zu stecken waren. Als dann später mal der Sheffscheffscheff nachgefragt hatte, ob das gut geklappt hätte, antwortete der Meister “ Jaja, zwei satte Hammerschläge und er war drin.“ Herzstillstand, Blutleere im Kopf, Schnappatmung.
Die ersten Versuche waren traurig und enttäuschend, aber was nicht geht, wird gehend gemacht, nur, der Winter steht in der Türe. Ab nach Arjeplog, dort oben hat man Zeit.
Nun hat die Natur die Reibung erfunden und so entwickelte das Teil ein Eigenleben, wenn man gebremst hat. Die Löcher habe sich nicht richtig gefunden. Damit wir uns ein Bild davon machen konnten, was das Gerät wirklich tut, – Messschriebe allein sind ja nur Papier, der Ingenieur braucht was zum Anfassen – haben wir unsere Schmalfilmkamera mal genau angeschaut und siehe da, das Teil konnte Aufnahmen in Zeitlupe machen. Also ein Film, der mit zwanzigfacher Geschwindigkeit aufzeichnet. Wieder mathematisch ausgerechnet hieß das, dass wir für einen Film knapp 15 Sekunden hatten, dann war der durch. Als sich die Werkstatt schon mit Stangen und Klebeband ein Stativ errichten sah, übernahm Scheffe kurzerhand die Regie, verdonnerte mich zum Fahren und Bremsen auf dem See, er selbst stellte sich bei offener Motorhaube auf dem Motor der Fahrzeugs in Position und hakte sich mit der Schulter zwischen Haube und Kühlergrill, der an der Haube fest war ein. „Fahr zu, aber mach kein Scheiß. Und wenn ich losbrülle, bremst Du!“ Damit wir die zehn Sekunden auch ausnützten, brauchten wir eine laaange Bremsung und das heißt Geschwindigkeit. Also 100 mussten es schon sein. – Wer ist schonmal 100 mit offener Motorhaube gefahren? Siehste, da siehste nämlich nix. Doch, die Stiefel und schlotternden Jeans vom Scheff.
Im Dorf wurde der Film unter mysteriösen Umständen beim Fotograf entwickelt und irgendwer hat dann auch einen Projektor beschafft, besorgt, organisiert.
Es gab eine wunderschöne Aufnahme, der Schieber tat am Anfang auch das gewünschte, nur fand er wohl bald seine richtigen Stellen nicht mehr und suchte sich dann von Anschlag zu Anschlag laut ratternd zunächst die Endschalter als Ziel, die klug genug waren, sofort aufzugeben und zu flüchten und raste dann unter infernalischem Geräusch hin und her. Es hat schon irgendwie gebremst, statistisch gesehen war auch jedes Rad mal mit Bremsen dran, aber geregelt und gewollt sah das nicht aus. AUS – Das Stichwort zu diesem Versuch.
Scheffscheffscheff ward an diesem Abend irgendwie nicht erreichbar.

©Jürgen Zechmann