Streng geheim! Kapitel 41 – Der Bus am Berg

Die „Bierkutscher“ – dann erklär ich das eben mal kurz – die Trucker – hatten Schwierigkeiten mit den Drehzahlfühlern an den Rädern, die hat es bei den ribbeligen Strassen (Corrugations), das sind Waschbrettstraßen, die sich bei vereisten Straßen bildeten, immer rausgeschüttelt. Eben darum hatten die Jungs jede Menge unterschiedliche Lösungen dabei, die sie ausprobieren mussten. Dazu musste man mal ’ne Stunde fahren und dann nachschauen. So, und weil man nicht einfach nur rumfahren wollte, kam uns die Gelegenheit grade recht, in Arvidsjaur im Systembolaget Hopfentee zu kaufen. Also fuhr Harry mit 20 Tonnen LKW beim Bolaget vor, kaufte einige Paletten. So wurde die Erprobungspflicht mit dem Nützlichen vereint. Sie verwahren sich ausdrücklich vor dem Namen „Kieskutscher“.
Also, diese Jungs hatten ja den Bus dabei. Diesen Stern O 603, Baujahr 1975 oder so, natürlich zum Erprobungsträger ausgebaut. Sie hatten auch einen baugleichen Messaufbau eingebaut. Der Messknecht musste sich nicht verrenken und konnte bequem hinter dem Gerät sitzen. Nur zum Kalibrieren musste er sich bücken, um in den kleinen Schlitz zu schauen, durch den man die Signalpunkte sah. Brust auf Schenkeln, schwarzes Tuch übern Kopf und dem Schreiber wie bei alten Fotoapparaten gegen die naseweise Sonne. Mit dem berühmten kleinen Schraubenzieher oben die Punkte justiert und mit der Linken sich am Schreiber abgestützt, damit er sich beim Bremsen nicht die Birne am Schreiber aufschlägt- sah aus wie Yoga. Das Ganze war in der dritten oder vierten Sitzreihe hinter dem Fahrer installiert und der Messknecht fuhr die ganze Zeit mit, weil sich ja sonst der Fahrer die Füße abgelaufen hätte nach jeder Bremsung. Also Duoposto.
Es gab dann in unserer Logik eine Sicherheitsschaltung, die unter anderem auf Plausibilität prüfte, also, ist das, was der Regler macht, eigentlich normal? So auch aus niederer Geschwindigkeit eine ABS-Bremsung, die länger als 5 Sekunden gedauert hat? Zunächst mal unlogisch, aber was ist, wenn man eine Gefällestrecke runterfährt, das ABS werkelt vor sich hin, die Kiste wird aber nicht langsamer oder gar schneller …. also zum Berg – Galtispuoda.
Die Straße da hoch beginnt – da kann man Anlauf nehmen – mit einer leichten Steigung und einer lockeren Kurve, danach eine Spitzkehre und weiter mit einer langen fast ebenen Kurve, die dann in eine Gerade mit zunehmender Steigung mündet. Weiter oben gibt es eine erhabene Bodenwelle, die eine besondere Herausforderung war, man brauchte Schwung, weil sie sich einen halben Meter nach oben wölbte. Wenn man da drüber war, hatte man es schon weit geschafft. Für PKWler hieß das: Pedal to the metal. Frei übersetzt, das Gaspedal ist mit dem Bodenblech eben. Volle Pulle. Zwar hat man alle Hände voll zu tun, damit die Kiste dorthin fährt, wo man will, aber man kommt oben an.

Harry und Messknecht sind auf dem besten Weg nach oben. Kurz vor der Bodenwelle fangen die Hinterräder an durchzudrehen, der Bus verliert Geschwindigkeit und steht schließlich, der Messknecht, schaut in den Schlitz und dreht eifrig Schräubchen, ohne aufzusehen, brabbelt vor sich hin. Harry denkt sofort praktisch an Schneeketten, ‚Berg, Dir zeig ich’s‘, zieht die Handbremse an – ratsch ratsch ratsch – ja ihr jungen Leute, das kennt ihr nicht mehr, meterlanger Hebel, pumpen, bis es schwer geht, dann fest.

Harry nimmt den Fuß vom Bremspedal und will nach den Ketten sehen, als sich durch die fehlende Bremskraft der Vorderräder, der Bus langsam der Schwerkraft beugt und talwärts bewegt. Harry bekommt Panik, öffnet die pneumatische rechte Tür und springt raus. Draußen stellt er mit einem Blick nach unten fest, „das gibt was Größeres“, springt wieder auf, schnappt sich seinen Anorak von der Sitzlehne und Mütze und Schal vom Armaturenbrett und springt wieder ab. Der Bus rutscht an der rechten Schneebarriere entlang nach unten, der Kurve entgegen. Harry spurtet drei Schritte hinterher, der Bus lässt sich den Vorsprung aber nicht nehmen. Außerdem ist es po-glatt, denn wenn der Bus rutscht, rutscht Harry auch. Die Kurve naht, der Bus wechselt elegant zur Kurvenaußenseite und lehnt sich an die Leitplanke der Talseite. Hoffentlich kommt jetzt keiner hoch! Hoffentlich hält die Leitplanke! Hoffentlich … Wie in einer Bobbahn gleitet das Gefährt gemütlich aber bestimmt durch die Kurve, entzieht sich Harrys Blicken und bleibt dann auf der anschließenden Geraden vor der Spitzkehre stehen. Harry erreicht atemlos den Bus, steigt ein und wird mit der Bitte empfangen: “ Fährst Du mal bitte wieder ein paar Meter, ich bin jetzt fertig mit den Geschwindigkeiten“ …..

©Jürgen Zechmann