Streng geheim! Kapitel 55 – Ein paar Kurze zwischendurch

Bei einer Kundenpräsentation auf dem See – dem Zugefrorenen, für Vergessliche – diesmal mit Ingenieuren aus dem sehr östlichen Teil der Welt, haut es einen beim Aussteigen aus seiner Limousine auf den hinteren Teil seiner Fülle. Die Umstehenden rennen hin, um aufzuhelfen und erhalten parallel zu den übersprunghaften Säuberungsaktionen den ernstgemeinten Rat, die Umsteigezonen zu salzen.

Unser Entwicklungsleiter ist stolz, den Neulingen, die er im Auto hat, bei einer Fahrt vom Flugplatz zum Hotel mit einem Abstecher die abendliche Gegend von Arjeplog zu zeigen. Nun gibt es einen schmalen Weg vom Dorf am Vägverket vorbei Richtung Rattik. Der Weg führt über drei Wehre und ist bei der Rückfahrt ziemlich gleich, bis auf eine kleine Stelle vor dem mittleren Wehr, da ist nämlich eine kleine Kurve davor, und wenn man die ignoriert, zum Beispiel mit zu viel Geschwindigkeit, zieht man (zog er) eine neue Fahrspur direkt in den Fluss. Ihr kennt das ja schon, Funkspruch, buddeln, viel Abschleppseil, viel Allrad … und viel Mattheus Rosé .

Und wenn sich einer was verwettet, sollte er tunlichst vorher über die Konsequenzen nachdenken, sonst steht er mit Anzug und Krawatte unter der Dusche und empfängt die Kunden am nächsten Morgen in Räuberzivil.

Harrys Alptraum: Er erwacht in einem Testfahrzeug auf einer Eisscholle auf dem tauenden Hornavan … und alle sind weg.

Und wer seine Mannschaft ärgert, findet schon mal seine Mütze im Gefrierfach wieder und holt sich beim wutentbrannten Aufsetzversuch ne Beule am Denker.

Harry ist noch von der Nachtarbeit des Vortages fertig und verpennt, aber die Kollegen möchten eine spezielle Einstellung der Regler-Logik testen und wollen wissen, wie der dazu angebrachte Schalter an der Elektronik stehen muss. Sie holen ihn aus dem Bett, stellen ihn vor die Elektronik und fragen ihn nach der Schalterstellung. Er wacht mit einem Auge auf, legt mit zittriger Hand den Schalter um und schläft – im Stehen – wieder ein.

Verzögerungen messen – ging seinerzeit auch noch mechanisch. Mit einem sogenannten Motometer. Das war eine graue Kiste, die man auf der Beifahrerseite auf dem Boden festgemacht hat. Auf das Bremspedal war ein Knopf geschnallt, der mit einem Schlauch mit dem Gerät verbunden war. Durch das gleich einem Uhrwerk aufgezogene Gerät hat sich ein kartonfestes Blatt gezogen, das beschichtet war und einen Aufdruck von diversen Linien, einer Tabelle und mathematischen Erklärungen hatte. In dem grauen Kasten war eine federnde Masse mit einem spitzen Grad, der in das Papier eine Linie kratzen konnte. Eine Messung durfte aufgrund der Durchlaufgeschwindigkeit nicht länger als drei oder vier Sekunden dauern.
Wenn man nun gebremst hat, hat sich die Masse gegen die Feder in Bremsrichtung (weiter)-bewegt und den Ausschlag mit dem Grat aufgezeichnet. Das Teil auf dem Bremspedal war ein Gummibalg, der die Kraft über den Schlauch in das Gerät übertragen hat, damit man auch noch die Bremspedalbetätigungskraft aufgezeichnet bekam. Das Gerät musste aber vor dem Bremsvorgang händisch gestartet werden, mit einer Art Bowdenzug wie bei einem Fernauslöser eines alten Fotoapparates, (na, wieder nix für die Jüngeren) also: neues Blatt in einen Schlitz an der Seite vorstecken, genaue Geschwindigkeit, Auslöser drücken, den du beim Lenken und Schalten immer in der rechten Hand hältst – ja, es gibt genügend Haken und Hebel, woran sich das Ding verfangen kann, eine Sekunde warten und dann bremsen. Wenn Du zu früh gebremst hast, war die Aufzeichnung außerhalb von der vorgedruckten Tabelle oder wenn Du zu spät warst, war die Messung für‘n Eimer, weil das Blatt hinten leer rauskam. Das Blatt kam aber auch leer raus, wenn man es falsch rum reingelegt hatte. Ingeiös, learning by doing.
Deshalb hat man uns auf die Schule geschickt und so haben wir gelernt, das Wort mit S, das man nicht sagen darf, nicht so oft zu benützen.

Der Beifahrer
Harold, der Hotelbesitzer, hatte auch einen Hund, der ein den ortsüblichen Gegebenheiten – viel Schnee – angepasstes Laufwerk hatte. Ein Fuchs mit langen Beinen und unheimlich neugierig. So fand er auch bei einem unserer Kutscher Gehör und durfte mal aufm Rücksitz zum Testen mit auf den See. Das Kerlchen war ja schlau wie Harry und lungerte auf dem Hotelparkplatz unauffällig rum und wenn Du nicht aufgepasst hast, war er schneller im Auto und aufm Rücksitz als Du aufm Fahrersitz. Er saß dann stolz hinten in der Mitte und schaute betont desinteressiert aus dem Fenster.

Don‘t jump out of the window.
Harry, der Schrauber, hatte eine Wette verloren und wollte/musste aus dem Fenster in die vorm Haus liegende Schneewähe springen.
Wir sind im Appartement, das mit dem Labor, und machen vor einem der Fenster, die zum See schauen, Platz für Anlauf.
Harry testet mit einem Besenstiel, dass draußen nix Bremsendes unter dem Schnee liegt, zieht sich‘s Hemd aus, nimmt unter Gejohle Anlauf und verschwindet mit Salto vorwärts durchs Fenster im Schnee. Man muss wissen, das war der Harry, der mal im Kofferraum für Traktion gesorgt hatte, also zehn Zentimeter schmaler als das Fenster breit war. Und hat draußen im Schnee eine schöne Schneise gerissen.
Scheff² nimmt die Herausforderung sofort an und verkündet einen zweiten Durchgang. Harry ist inzwischen wieder durchs Fenster reingestiegen und hat jede Menge Schnee mitgebracht, auf dem Harry Scheff daraufhin kurz vorm Absprung ausgerutscht ist, wie ein Aal aus der Schüssel durchs Fenster verschwunden ist und draußen vor Harrys Krater unsanft die Welt geküsst hat. Wir haben natürlich gleich hinterhergeschaut, ihn aber nicht gesehen. In der Annahme, er läuft ums Haus, um wieder vorn reinzukommen, wurde das Fesnter ob der Kälte geschlossen. Plötzlich erregte ein Klopfen am Fenster die Aufmerksamkeit der Kollegen drinnen und von von draußen schaute uns ein schneeverbrämtes Gesicht an und jammerte um Einlass. Nachdem aber das Hinaus nicht ganz ohne Blessuren abging, hat man ihm hereingeholfen und den Sixpack mit der Fensterkante auch etwas blessiert, wegen der Ausgewogenheit.
Somit wurde der Fenstersprung legendär. Nachfolgende Generationen hatten gelernt, dass es pro Fenster nur einmal geht. Es geht auch vom Hotelzimmer aus, war ja damals alles Erdgeschoss.
Kleiner Zeitsprung. Das Hotel bekam über den Sommer einen dreistockigen Anbau und am Ende des Gebäudes waren Aufenthaltsräume mit Glaskanzeln angebracht. Ein Schlauer hat dann in drei Sprachen Zettel an die Fenster der oberen Stockwerke geklebt:
„Don‘t jump out of the window.

Der Flipper
Hotel mit Neubau. An den linken Zimmertrakt hat man nach schwedischer Art den besagten Neubau angebracht, der die stetig steigende Nachfrage an Zimmern im Winter etwas besser befriedigen sollte. Man erreichte ihn, indem man den Gang an den alten Zimmern entlang einfach weiterging und zwei Ecken weiter im Neubau stand. Die alten einarmigen Banditen im Foyer waren schon lange verschwunden und durch einen Flipper ersetzt worden. Da nun das gesamte Hotel etwas seriöser daherkommen sollte, haben sie den Flipper auch aus dem Foyer verbannt und in die vorhin beschriebene Ecke im Gang zum Neubau verpflanzt. Strategisch sehr günstig, da jeder, der zu Bett wollte, an diesen Teufelsding vorbei musste. Diejenigen, die in der Nähe wohnten, haben dann in einer nächtlichen Aktion zunächst den Stecker aus der Wand gezogen und ihn dann doch ein paar Nächte später abgeschnitten. Ingeniöre lassen sich das nicht bieten, aber der Druck der Hotelgäste im Umfeld dieser nächtelangen Lärmquelle war enorm. Außerdem war die elektrische Versorgung wegen des abgetrennten Kabels nur ingeniörssicher, nicht aber ganz ungefährlich.
Da Harry das erste Zimmer neben dem Flipper und so immer Zugriff auf das Gerät hatte, wollte er das so nicht akzeptieren und beschloss nächtens, den Flipper in sein Zimmer umzuziehen. Der Mist war jedoch, dass der Flipper zwei Zentimeter zu breit war für die Türöffnung, wenn man aber die Türe aushängte, würde es gehen. Schwedische Türen lassen sich nicht aushängen, man muss sie schon mit den Scharnieren – oben zwei unten eins – abschrauben, und dazu ist eben Werkzeug nötig und das gibt‘s in der Werkstatt. An der Bar hat er noch einen getroffen, der ihn in die Werkstatt gefahren hat und als die Türe dann abgeschraubt war, ging es an den Transport. Ein Flipper kann schon schön schwer sein und so kam unser höchster Scheff, der zubett wollte, grade recht, zum Helfen. Nach kleiner Überzeugungsdiskussion haben sie dann anschließend noch ein paar längere Runden geflippert.
Das Echo kam am nächsten Morgen. Die Mädels der Rezeption waren zusammen mit dem Hotelmanager in höchster Aufregung: Heute Nacht wurde der Flipper geklaut. Das kam natürlich auch unserem Scheffe zu Ohren und er erklärte etwas verkatert und übernächtigt kleinlaut, dass er an diesem „Diebstahl“ beteiligt gewesen war. Am Abend wurden wir dann nebenbei vom Manager gefragt, wie wir den Flipper eigentlich in das Zimmer bekommen hätten, die Türe sei doch zu schmal, man bekommt ihn ja nicht wieder raus. Er hätte es probiert, aber ….

©Jürgen Zechmann