Harrys Handumdreher
Ich sitz in Gedanken des kommenden Tages versonnen am Schreibtisch, da meldet sich das Telefon und ein Scheff³ fragt von zuhause aus an, was das für ein Unfall war heute Nacht. ?? – ?? Ich weiß von nix und unterwegs zum Standort hat man auch nix gesehen.
Eine erste Anfrage in der Werkstatt ergab auch nichts. Als ich zurück in mein Büro komme, steht dort mit leicht verschmitztem Grinsen der Trackmanager und erzählt, sein Bruder hätte ihm heute Morgen erzählt, dass in seiner (vermieteten) Garage Teile eines Fahrzeugs stehen. Ich bin sofort wieder in die Werkstatt gelaufen, wo mich der Werkstattleiter mit hochrotem Kopf und allerlei unschreibbaren Ausdrücken gegen Landsleute aus Ost und West empfing. Grade kommt sein Bergungstrupp zurück, weil ein Harry – zum Verständnis: Ein Applikateur unserer Schwesterfirma in einem sonnigen Land westlich des Rheins – vorsichtig gefragt hat, ob er die kaputte Lampe an seinem Fahrzeug selbst wechseln kann, oder ob jemand mitkommen kann, die Lampe zu reparieren. Warum das Fahrzeug noch zuhause steht und nicht hier ist, wurde mit einem Gegrummel und tiefster Verlegenheit nicht beantwortet. Als dann der entsandte Trupp das Garagentor geöffnet hat, schien alles mit dem Fahrzeug in Ordnung, aber je weiter sie sich nach vorne gewagt hatten, schwedische Garagen sind eng , umso mehr verlor es die Konturen und das Aussehen eines intakten Autos. Die Türen waren etwas onduliert, das Glasdach fehlte, ebenso beide Außenspiegel und der gesamte karossale Vorderbau. Also Kerzenwechsel und Motorinspektion wäre ohne weiteres möglich gewesen … zwei kleinere Leuchten baumelten an ihren Kabeln.
Soweit der Bericht der Mannschaft aus der Werkstatt und ich lasse dem Kutscher ausrichten, er habe zehn Minuten Zeit, sich in meinem Büro einzufinden.
Ich sitze noch nicht richtig, da steht ein Häuflein Elend in der Türe, knetet aufgeregt seine Fellmütze vorm Bauch, schwankt von einem Bein aufs andere und versucht mir in französischengelischrussischdeutschschwedisch mit Händen und Füßen zu erklären, was passiert war – letzte Nacht.
Er wäre also recht spät heimgefahren und wollte vom fünften in den sechsten Gang schalten, (Anm: Das tut man meist im oberen Geschwindigkeitsbereich!) erwischte jedoch den zweiten. Die Vorderachse blockierte mit einem schmerzlich aufbrüllenden Motor und das Fahrzeug begann sich nach einem angetäuschten Handstand sofort zu drehen, suchte nach der ersten Pirouette Halt an dem straßenbegrenzenden Schneewall und kippte dann auf ihn, um auf dem Wall ungefähr fünfzig oder mehr Meter auf dem Dach entlangzurutschen, um dann an einem der Hügel, der sich um die Begrenzungsstangen schmiegte wieder umgedreht und auf die Straße gestellt zu werden.
Und dann??
„ Jaaaah, ich hab mir die Mütze wieder nach hinten geschoben (das ist die Übersetzung der erklärenden Handlung im Rahmen meiner Bürotüre), hab gehört, der Motor läuft noch, keine rote Lampe an, dann bin ich heimgefahren.“ „Ohne Licht??“ „Nebellicht geht noch.“
??
„Meine Kollegen sind dann mit mir wieder zu der Stelle hingefahren, haben alles zusammengesammelt. Ist alles im Kofferraum.“
Anmerkung: Kann man da ernst bleiben? Diesen Winter hatte Harry keinen Namen, sondern eine Handbewegung, Drehung der ausgestreckten Hand um die Längsachse.
„Wood on his head“
Wir sind mit mehreren Fahrzeugen unterwegs und in Sonntagsstimmung. In Arvidsjaur gibt es ein Cafe, wo‘s Sonntags Plunder gibt. Unsere Mannschaft ist fertig zur Weiterfahrt, aber der zweite Trupp lässt auf sich warten. Wir drängeln nach Hause und als es ans Bezahlen ging, wird uns wegen eines Defekts die Kartenzahlung verweigert. Kein Geld weit und breit. Harry überzeugt das Mädel hinter der Theke, dass noch ein Auto voll Tester kommt, die das dann mitbezahlen. Sie soll es dann nur sagen. Ein Anruf bei den Kollegen sichert die Sache ab, sie kommen gleich.
Ohne Wunder, es funktioniert. Wir fahren weiter, Richtung Arjeplog. Auf halbem Weg erreicht uns ein Telefonat, – wir haben einen Unfall – mit einem Ren. Uns geht‘s gut, dem Ren weniger, Fahrzeug nicht richtig fahrbereit, vorne einiges krumm. Wir wenden und fahren zurück. Ich brauch dringend einen Baum, der Kaffee drückt. Da man nicht so einfach auf freier Strecke anhalten kann, warten wir auf eine Parkbucht, die es alle Nase lang gibt. Hier kam keine, gefühlte hundert Kilometer lang nix. Ziemlich lange die Nasen hier. Harry hält auf einer langen übersichtlichen Geraden, lässt mich raus und schaltet den Warnblinker an, was in diesem Breiten fatal sein kann, weil der erste, der vorbeikommt, fragt, ob wir Hilfe brauchen. Natürlich kommt einer, wir haben in der letzten Stunde keinen gesehen, da war es auch mal Zeit. Zwei junge Norweger, die irgendwie überdreht wirkten und sich lächerten, weil da einer den Graben gießt.
Am havarierten Fahrzeug angekommen, ist es mittlerweile fast dunkel. Das Ren lag auf dem Schneewall neben der Fahrbahn, Polizei war da und ein vorn etwas zerdeppertes Fahrzeug. Die Mannschaft war recht lustig drauf, denn sie hatten während der Wartezeit einiges erlebt. Es wären zwei junge Norweger vorbeigekommen und hätten Hilfe angeboten. Nun, den Kollegen geht es gut, nur das Ren sah etwas lädiert aus, lebte aber noch, das die zwei aber schnell von seinen Schmerzen erlösten. Die dann ankommende Polizei regelte den Papierkram und wir kamen grade recht zum Abschied, aaaber Kollege Harry fragte dann doch noch den Polizisten, auf das tote Ren zeigend: „What about … äh .. the wood on his head?“ „ Hä??“ Wir verständigten uns schnell, er wollte das Geweih als Andenken. Ich fragte dann den Polizisten mit ein paar schnell zusammengefundenen einheimischen Worten nach dem Geweih. Er reichte Harry grinsend, aber wortlos sein Messer. Nonono. Da Harry am nächsten Wochenende heimfliegen sollte, ergab sich eine Diskussion, die der Polizist grinsend verfolgte, da sie, mit Fairness zu ihm, mehrsprachig erfolgte. Das Geweih sollte am Flugplatz deponiert werden bis zum Abflug. Grinsen. Bist Du wahnsinnig, das Teil stinkt, wenn es warm wird, da kannst du den ganzen Flieger damit leeren. Dann also zum Standort und im LKW heim. Wissen die Jungs das schon? Grinsen. Wie trennt man aber das Geweih vom Ren – das Grinsen wird breiter. Letztendlich kommt der Polizist aus der Deckung. Er gibt nächste Woche einem Kollegen aus Arjeplog ein sauberes Geweih für ihn mit, ob das so OK wäre. Ren ist Ren …
Als wir dann das ondulierte Fahrzeug fahrfähig machen wollten, macht es beim Rangieren ein paarmal Plopp und die Front sah einigermaßen gebrauchsnah aus. Hoch lebe die Kunststoffstoßstange. Da der rechte Scheinwerfer jedoch dem Ren heimleuchtete, sah es in unserem Rückspiegel aus, als folgte uns ein Motorrad nachhause.
©Jürgen Zechmann